Advents Kalender
 20. Dezember
 
 

 

 

Sankt Nikolaus in Not

 

Es fielen ein paar mollige Flocken aus der wegziehenden Schneewolke, und da stand auf einmal auch schon der runde Mond leuchtend über dem weissen Turm. Die beschneite Stadt wurde eine silberne Stadt. Es war ein Abend von flaumenweicher Stille und lilienreiner Friedsamkeit. Und wären die flimmernden Sterne hernieder gesunken, um als Heilige in goldenen Messgewändern durch die Strassen zu wandeln, niemand hätte sich gewundert. Es war ein Abend, wie geschaffen für Wunder und Mirakel. Aber keiner sah die begnadete Schönheit des alten Städtchens unter dem mondbeschienenen Schnee.

Die Menschen schliefen.

Nur Dichter Remoldus Keersmaecker, der in allem das Schöne sah und darum lange Haare trug, sass noch bei Kerzenschein und Pfeifenrauch und reimte Gedichte auf die Götter des Olymps und die Herrlichkeit des grieschishcne Himmels, die er so innig auf Holzschnitten bewundert hatte.

Der Nachtwächter Dries Andijvel, der auf dem Turm Wache hielt, huschte jede Viertelstunde hinaus, blies eilig drei Töne in die vier Windrichtungen, kroch dann zurück in die warme, holzgetäfelte Kammer zum bullernden Kanonenöfchen und las weiter in seinem Liederbüchlein:" Der flämische Barde, hundert Lieder für fünf Groschen". War eines dabei, von dem er die Weise kannte, dann kratzte er die auf einer alten Geige und sang das Lied durch seinen weissen Bart, dass es bis hoch ins rabenschwarze Gerüst des Turmes schallte. Ein kühles Gläschen Bier schmierte ihm jedesmal zur Belohnung die Kehle.

Trinchen Mutser aus dem "Verzuckerten Nasenflügel" sass in der Küche und sah durch das Kreuzfenster in ihren Laden.

Ihr Herz war in einen Dornbusch gefallen. Trinchen Mutsers Herz war ganz durchstochen und durchbohrt, nicht weil all ihr Zuckerzeug heute an Sankt Niklaus ausverkauft war, - ach nein! weil das grosse Schokoladenschiff stehen geblieben war. Einen halben Meter hoch und so lang wie von hier bis dort! Wie wunderschön stand es da hinter den flaschengrünen Scheiben ihres Lädchens, lustig mit Silberpapier beklebt, verziert mit Leiterchen aus weissem Zucker und mit Rauch in den Schornsteinen. Der Rauch war weisse Zuckerwatte.

Das ganze Stück kostet so viel wie all die kleinen Leckerein, die Pfefferkuchenhähne mit einem Federchen am Hintern, die Knusperchen, die Schaumflocken, die Zuckerbohnen und die Schokoladenplätzchen zusammen. Und wenn das stück, das Schiff aus Schokolade, das sich in rosa Zuckerbuchstaben als die "Kongo" auswies, nicht verkauft wurde, dann lag ihr ganzer Verdienst im Wasser.

Warum hatte sie es auch kaufen müssen? Wo hat sie nur ihre Gedanken gehabt! So ein kostbares Stück für ihren kleinen Laden!

Wohl waren alle gekommen, um es sich anzusehen, Mütter, Kinder, sie hatte durchaus verkauft wie noch nie. Aber kein Mensch fragte nach dem Preis, und so blieb es stehen und rauchte immer noch seine weisse Watte, stumm wie ein toter Fisch.

Als Frau Doktor Vaes gekommen war, um Varenbergsche Hustenbonbons zu holen, da hatte Trinchen gesagt: "Sehen Sie nur mal, Frau Doktor Vaes, welch ein schönes Schiff! Wenn ich Sie wäre, dann würde ich Ihren Kindern nichts anderes zum Sankt Nikolaus schenken als dieses Schiff. Sie werden selig sein wie im Himmel!"

"Ach" sagte Frau Vaes abwehrend, "Sankt Nikolaus ist ein armer Mann. Die Kinder werden schon viel zu sehr verwöhnt, und ausserdem gehen die Geschäfte des Herrn Doktor viel zu schlecht. Wissen Sie wohl, Trinchen, dass es in diesem Winter fast keine Kranken gibt? Wenn das nicht besser wird, weiss ich gar nicht, was wir anfangen sollen." Und sie kaufte zwei Pfefferkuchenhähne auf einem Stäbchen und liess sich dann Tage lang nicht mehr sehen.

Und heute war Nikolausabend; aller Kleinkram war verkauft, nur die Kongo stand noch da, in ihrer braunen Kongofarbe und rauchte einsam und verlassen ihre weisse Watte.

Zwanzig Franken Verlust! Der ganze Horizont war schwarz wie der Kongo selber. Vielleicht könnte man sie stückweise verkaufen oder verlosen? Ach nein, das brachte noch nicht einmal fünf Franken ein, und sie konnte das Ding doch nicht auf die Kommode neben die anderen Nippsachen stellen.

Ihr Herz war in einen Dornenbusch gefallen. Sie zündete eine Kerze an für den heiligen Antonius und eine für Stank Nikolaus und betet einen Rosenkranz, auf dass der Himmel sich des Schiffes annehmen und Gnade tauen möchte.

Sie wartete und wartete. Die Stille wanderte auf und ab. Um zehn Uhr machte sie die Fensterladen zu und konnte in ihrem Bett vor Kummer nicht schlafen.

Und es gab noch ein viertes Wesen in dem verschneiten Städtchen, das nicht schlief. Das war ein kleines Kind, Cäcilie; es hatte ein seidig-blondes Lockenköpfchen und war so arm, dass es sich nie mit Seife waschen konnte und ein Hemdchen trug es das nur noch einen Ärmel hatte und am Saum ausgefranst war wie ein Eiszapfen an der Dachrinne.

Die kleine Cäcilie sass, während ihre Eltern oben schliefen, unter dem Kamin und wartete, bis Sankt Nikolaus das Schokoladenschiff von Trinchen durch den Schornstein herunterwerfen würde. Sie wusste, es würde ihr gebracht werden; sie hatte es jede Nacht geträumt, und nun sass sie da und wartete voller Zuversicht und Geduld darauf; und weil sie fürchtete, das Schiff könnte beim Fallen kaputt gehen, hatte sie sich ihr Kopfkissen auf den Arm gelegt, damit es weich wie eine Feder darauf niedersinken könnte.

Und während die vier wachenden Menschen im Städtchen; der Dichter, der Turmwächter, Trinchen und Cäcilie, ein jedes mit seiner Freude, mit seinem Kummer oder seiner Sehnsucht beschäftigt war, nichts sahen von der Nacht die wie ein Palast war, öffnete sich der Mond wie ein runder Ofen mit silberner runder Tür, und es stürzte aus der Mondhöhle eine solche strahlende Klarheit hernieder, dass sie sich auch mit goldener Feder nicht niederschreiben liesse. Einen Augenblick fiel das echte Licht aus dem wirklichen Himmel auf die Erde. Das geschah, um Sankt Nikolaus auf seinem weissen schwer beladene Eselchen und dem schwarzen Knecht Ruprecht durchzulassen. Aber wie kamen sie nun auf die Erde? Ganz einfach. Das Eselchen stellte sich auf einen Mondstrahl, stemmte die Beine steif und klitschte nur so hinunter, wie auf einer schrägen Eisbahn. Und der schlaue Knecht Ruprecht fasste den Schwanz vom Eselchen und liess sich ganz behaglich mitziehen, auf den Versen hockend. So kamen sie ins Städtchen, mitten auf den beschneiten grossen Markt.

In den Körben, die zu beiden Seiten des Eselchens hingen dufteten die bunten Leckereien, die Knecht Ruprecht unter der Aufsicht von Sankt Nikolaus in der Konditorei des Himmels gebacken hatte. Und als man sah, dass es nicht reichte, und der Zucker zu Ende ging, da hatte Knecht Ruprecht sich in Zivil geworfen, um unerkannt in den Läden, auch bei Trinchen, Süssigkeiten zu kaufen, von dem Geld aus den Sankt-Nikolaus-Opferstöcken, die er alle Jahre einmal in den Kirchen leeren durfte. Mit all den Leckerein war er an einem Mondstrahl in den schönen Himmel hinaufgeklettert, und nun musste das alles verteilt werden an die kleinen Freunde von Sankt Nikolaus.

Sankt Nikolaus ritt durch die Strassen, und bei jedem Haus, in dem ein Kind wohnte, gab er je nach der Artigkeit des Kindes dem Knecht Ruprecht Leckereien, die dieser mit Katzengeschmeidigkeit an den Regenkandeln und den Dachrinnen entlang kletternd und über die Ziegel krabbelnd, zum Schornstein brachte; da liess er sie dann vorsichtig hinunterfallen durch das kalte zugige Kaminloch, gerade auf einen Teller oder in einen Holzschuh hinein.

So bearbeiteten sie das ganze Städtchen, warfen herab, wo zu werfen war, sogar hier und da eine harte Rute für rechte Taugenichtse. "Da wären wir bis zum nächsten Jahr mal wieder fertig", sagte der Knecht Ruprecht, als er die leeren Körbe sah.

"Was", fragte Sankt Nikolaus beunruhigt, "ist nichts mehr drin? Und die kleine Cäcilie? Die brave, kleine Cäcilie? Schscht!"

 

Bist Du gespannt, wie die Geschichte weitergeht? Ich auch! Lass uns morgen weiter lesen....

 

 

 

 

 

 

 

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