In einem kleinen
Stübchen im Kellergeschoss, das nur ein Fensterchen hatte, lebte einst
der Schuster Martyn Awdejewitsch.
Durch das
Fensterchen konnte man sehen, wie die Menschen vorübereilten und
obgleich er nur die Füsse sehen konnte, erkannte Martyn sie an ihren
Schuhen und Stiefeln.
Ein guter Mensch
war er stets gewesen, führte ein ruhiges, freundliches Leben, ging
morgens zur Arbeit und schaffte rüstige den ganzen Tag über.
Wenn er
Feierabend hatte, nahm der die Lampe vom Haken, stellte sie auf den
Tisch, holte aus seinem Regal die Bibel, schlug sie auf und las.
Wieder einmal
hatte Martyn bis in die späte Nacht gelesen und gar nicht bemerkt,
dass er eingeduselt war.
"Martyn!" hörte
er plötzlich ein ganz leises Rufen neben sich.
Schlaftrunken
reckte er sich und fragte: "Wer da?" Er blickte um sich, sah auf die
Tür, aber keiner war da und so duselte er wieder ein... "Martyn,
Martyn!!! Schau auf die Strasse, ich werde kommen."
Martyn erwachte,
stand vom Stuhl auf und rieb sich müde die Augen. Er wusste nicht ob
er geträumt hatte oder ob er die Worte wirklich gehört hatte. So
löschte er das Licht und legte sich ins Bett.
Früh am Morgen
erhob sich Martyn, betete, machte Feuer schob die Kohlsuppe und eine
Grütze in den Ofen, stellte die Teemaschine an, band seine Schürze vor
und setzte sich zum Arbeiten ans Fenster. Bei der Arbeit dachte er
wieder an letzte Nacht und an die Stimme und so blickte er mehr durchs
Fenster, als dass er arbeitete. Kam jemand mit unbekannten Stiefeln
vorüber, so beugte er sich weit vor um nicht nur die Füsse zu sehen
sondern auch das Gesicht.
An den
Filzstiefeln erkannte er den alten Stefan. Der fing an, vor seinem
Fenster den Schnee zu schaufeln und Martyn sah ihm zu, dann nahm er
wieder seine Arbeit auf.
"Ganz närrisch
bin ich auf meine alten Tage geworden", lachte Martyn sich selber aus.
"Stefan schaufelt Schnee und ich denke, Christus wird mich besuchen
kommen."
Kaum hatte er
zehn Stiche gemacht, so zog es ihn wieder ans Fenster. Stefan hatte
die Schaufel an die Wand gestellt - er wärmte sich wohl die Hände oder
ruhte aus.
Martyn stecke
sein Werkzeug ein und stellte die Teemaschine auf den Tisch und
klopfte kräftig an das Glas des Fensters. "Komm herein, alter Stefan,
und wärme dich auf, es ist sehr kalt!" rief er dem Alten zu.
"Christus steh
usn bei! Die Knochen schmerzen, so kalt ist es", entgegnete ihm
Stefan. Er schüttelte den Schnee ab, wischte sich die Füsse sauber und
trat ein; sein Gang war unsicher. Martyn goss zwei grosse Gläser ein
uns schob das eine Glas seinem Gast zu. Stefan trank zügig, stellte
das leere Glas hin und dankte. "Trink", forderte Martyn den Gast auf
und goss das Glas erneut voll.
Stefan trank und
blickte dabei auf die Strasse. "Erwartest du jemanden?" erkundigte er
sich. "Ob ich jemanden erwarte? Ich muss mich ja schämen zu sagen, wen
ich erwarte. Siehst du, Brüderchen, gestern habe ich in der Bibel
gelesen von unserem Herren Christus, wie er auf die Erde ging und wie
er zum Pharisäer kommt, der ihn ohne Feier empfängt. Ja uns siehst du,
geschähe das mir, ich wüsste nicht, wie ich ihn zu empfangen hätte.
Ich dachte darüber nach und bin eingeduselt, da hat jemand meinen
Namen gerufen und gesagt dass er morgen kommen wolle. Und so geschah
es mir gleich zweimal. Ich musste mich selber auslachen - aber ich
erwarte ihn dennoch unseren Herrn."
Stefan sagte
nichts, trank und stellte sein Glas hin, Martyn aber goss erneut ein.
"Trink doch noch" sagte er freundlich zu Stefan. Der aber bedankte
sich, bekreuzigte sich, schob das Glas fort und stand auf. "Danke Dir
Martyn, du hast mir wohl getan, hast meinen Durst gestillt und auch
meine Seele gesättigt." Mit diesen Worten ging Stefan hinaus. "Kehre
einmal wieder bei mir ein, Stefan" rief ihm Martyn hinterher.
Er trank den
letzten Tee, räumte das Geschirr auf und machte sich daran sein
Tagwerk zu tun. Während seiner Arbeit blickte er oft durchs Fenster.
Bald kam eine Frau mit wollenen Strümpfen und Dorfschuhen daher. Sie
blieb einen Augenblick am Fenster stehen. Martyn blickte auf und sah
eine fremde Frau, schlecht gekleidet und mit einem Kind im Arm. Sie
lehnte sich an die Wand und wickelte das Kind ein - und hatte doch gar
nichts um das Kind einzuwickeln. Durch das Fenster hörte Martyn das
Kind weinen; sie wollte es beruhigen und konnte es doch gar nicht
beruhigen. Martyn ging zur Tür und rief von der Treppe aus: "Gute
Frau! Gute Frau!" Sie sah sich um.
"Was stehst du
mit dem Kindchen in der Kälte? Komm in die Stube, in der Wärme wirst
du es besser wickeln und beruhigen können."
Verwundert sah
ihn die Frau an - ein alter Mann mit einer Schürze und einer Brille
auf der Nase rief sie zu sich. Sie folgte ihm in die Stube und der
Alte führte sie zum Bett. "Hierher setz dich, liebe Frau, das ist
näher beim Ofen; wärme dich und stille dein Kind."
"Ich hab keine
Milch mehr in meiner Brust, denn seit Tagen habe ich selber nichts
gegessen", antwortete die Frau, legte das Kind aber dennoch an ihre
Brust.
Traurig
schüttelte Martyn seinen Kopf, ging zum Tisch hin, holte sein Brot und
einen Napf, öffnete die Ofentür und goss in den Napf ein bisschen von
der Kohlsuppe. "Komm und iss, gute Frau."
Diese bekreuzigte
sich und setzte sich an den Tisch und begann hastig zu essen. Martyn
hatte mitleid und fragte: "Du hast sicher auch keine gute Kleidung?"
"Ach wie sollte ich gute, warme Kleidung haben, Väterchen, Gestern
musst ich mein letztes Tuch für etwas Geld verkaufen." Sie ging zum
Bett und nahm ihr Kind. Martyn stand auf und nahm von der Wand seinen
Halbrock. "Nimm", sagte er "Zwar ist es auch nur ein schlechtes Stück,
aber zum Einwickeln wird es wohl taugen." Die Frau sah auf das
Kleidungsstück, dann auf den Alten, nahm den Rock und weinte. "Der
Herr beschütze dich, er muss es gewesen sein, der mich vor Dein
Fenster schickte. Ohne dich wäre mein Kind erfroren."
Als die Frau
gegangen war, setzte sich Martyn wieder zur Arbeit. Er arbeite ein
wenig, die Dunkelheit hatte sich schon bemerkbar gemacht, dann legte
er seine Instrumente ganz weg, fegte aus, stellte die Lampe auf den
Tisch und holte vom Regal seine Bibel. Wie er das Buch aufschlug
entsann er sich an seinen gestrigen Traum und es war ihm als höre er
hinter sich Schritte. Er sah sich um Menschen standen in der Ecke, er
konnte sie aber nicht erkennen und eine Stimme flüsterte:
"Martyn, Martyn,
hast du mich nicht erkannt?"
"Wen?" fragte
Martyn.
"Mich", sagte die
Stimme "Ich bin es" und es trat aus der dunkeln Ecke Stefan - er
lächelte und zerrann wie ein Wölkchen.
"und auch das bin
ich" sagte die Stimme und aus der Ecke trat die Frau mit ihrem Kinde -
lächelte und zerrann wie Stefan.
Fröhlich wurde es
Martyn nun tief in seiner Seele und er begriff plötzlich, dass der
Traum ihn nicht betrogen hatte. sondern dass zu ihm an diesem Tag
Christus gekommen war und er ihn empfange hatte.
nach Leo Tolstoi
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