Waldestreu

 

         
 

Vor Jahren lebte ein König auf einem prächtigen Schloss, mit glänzendem Hofstaat und grosser Zahl an Dienern.

        Wie vornehm auch der König wirkte, im Grunde seines Herzens war er ein wüster Geselle und grober Klotz. Seine liebste Beschäftigung war das Zechen mit seinen Rittern und die Jagd durch Feld und Wald.

 

 
   
 

Das Wasser-Schloss Hallwyl im Kt. Aargau

 
 
   

       Seine Gemahlin hingegen fand ihre Freude daran, den Armen und Notleidenden zu helfen.

        Den König liebte sie von ganzem Herzen und war ihm treu ergeben, aber sie konnte kein Vergnügen darin finden, an den Festen ihres Mannes teilzunehmen, so sehr es sich der König auch wünschte. Erschien sie doch einmal bei einem solchen Gelage, schlugen ihr im Nu alle Herzen entgegen und mancher Ritter hätte gerne all sein Hab und Gut für sie hergegeben.

        Als der König nun merkte, dass er sie nicht umstimmen konnte, wurde sein Benehmen ihr gegenüber immer unfreundlicher, so dass die Königin litt und sich sehr einsam fühlte. Als er sie eines Tages nach einer besonders wüst durchzechten Nacht im Beisein aller Dienerschaft hart anfuhr, brach ihr das Herz. Um sich zu beruhigen suchte sie aber die Einsamkeit des Waldes auf.

 

 
   
 

Bannwald der Gmde. Zofingen im Kt. Aargau

 

 
   
 

       Wie still und feierlich es dort war! Ein leises Flüstern ging durch die frischen grünen Zweige, über welche eben der aufgehende Vollmond sein sanftes Licht ergoss. Der Abendwind umhauchte ihre glühend heisse Stirn. Hin und wieder sang ein Vogel wie im Traum einige abgebrochenen Töne; dann aber wurde es ganz still.

        Die Königin hatte sich am Fuss eines alten Baumes ins weiche Moos gesetzt und schaute verträumt in die Abendwolken, die die untergegangene Sonne in Gold getaucht hatte. Wie schön und reich die Welt doch war! Aber trotz ihrer reichen Güter fühlte sie sich sehr einsam und arm.

 

 
   
 

Vollmond im Säuliamt, Kt. Aargau

 

 
   
 

    Als die Nacht hereinbrach und es kühl und dunkel wurde, eilte sie zurück auf ihr Schloss, damit man sie  nicht vermisse. Doch von nun an war der Wald ihr liebster Freund, den sie täglich besuchte und dem sie ihr Herz ausschüttete, bei dem sie ihren Frieden fand.

        Der König aber stürzte sich immer tiefer in die Vergnügungen der Gelage und Jagden. Mit sich selber und der Welt zerstritten wurde er in seiner tyrannischen Art zum Schrecken seiner Umwelt. Kein Leid konnte sein hartes Herz erreichen und so merkte er auch nicht, dass seine Gemahlin bitter litt und täglich blasser wurde.

        Als der Tag gekommen war, da die Königin zu schwach war um alleine in den Wald zu gehen, trugen ihre Knappen sie auf einer Bahre hinaus. Dies geschah so still und feierlich, als wenn man eine geliebte Tote zur letzten Ruhe begleiten würde.

        Die Abenddämmerung schlich herauf und umhüllte Wald und Berge mit einem sanften Schleier. Aus Moos bewachsenen Felsen floss silbern ein Bächlein und rieselte durchs Tann.

 

 
   
 

Teufelsschlucht bei Hägendorf Kt. Solothurn

 

 
   
 

       Leise flüsterte der Wind in den Zweigen und die Nachtigall sang ihr schönstes Lied. Die Königin fühlte sich sehr glücklich. Still und friedlich lag sie da und so sprach sie: "Hab' Dank, du lieber Wald, für alle die schönen Stunden, die ich mit dir verbracht habe. Ich werde nun bald erlöst von allem Leiden, und dann will ich in deinem kühlen Schatten ruhen, dein Säuseln und die Vogelstimmen sollen mein Schlummerlied sein."

        Ein mächtiges Rauschen zog durch den Wald, als wolle er ihr die Erfüllung des Wunsches zusagen.

        Noch einmal wollte die Königin auf ihrer Harfe spielen. Wundersam erklang die Melodie, welche sie mit zitternden Händen vortrug, durch die Stille und alle lauschten tief bewegt. Es war, als wenn sie die Stimmen von Elfen vernähmen. All die heisse Liebe und das bittere Leid trugen die Töne ins dichte Laubdach.

        Als der letzte Ton verstummte, sank die müde Hand der Königin in ihren Schoss und tiefer Friede lag auf ihrem Gesicht. Andächtig schweigend harrten die Bediensteten rund um sie herum, bis eine Frau herantrat um ihre Hand zu streicheln. Laut begann sie zu weinen - die Hand war kalt und starr, die geliebte Königin tot. Jeder empfand den herben Verlust, der alle betroffen hatte und der Wald breitete schützend die Zweige über die Tote.

        Im Rittersaal war derweil ein besonders wüstes Gelage in Gang und reichlich floss der Wein. Der König schaute hinaus und konnte nicht erkennen, welch seltsamer Zug sich seinem Schlosse näherte. So schrie er hinab in den Hof, die Wachen sollten ihm Bescheid geben, aber er bekam keine Antwort. Von allen Seiten kamen nun die Leute heran, die Bauern, hohe und niedere Ritter und Edle und bald war der Burghof voll mit ihnen und alle weinten um die tote Königin.

        Ein eisiger Schauer durchrieselte den König, als er seine Königin liegen sah, bedeckt mit Farn und Blumen. Bittere Reue ergriff seine Seele, als er in ihr liebliches totenblasses Gesicht schaute und ein Strom von heissen Tränen benetzte ihre kalten Hände. Sein Herz aber hämmerte "Zu spät! Zu spät!" Gar so manchem der harten, wüsten Gesellen liefen die Tränen heimlich in den Bart, als man dem König den letzten Wunsch seiner Gemahlin vortrug. "Niemals! Ein Denkmal soll sie bekommen, schöner wird keines je sein." sprach dieser.

        So kamen die namhaftesten Bauleute und Künstler und erschufen ein Denkmal ohne Gleichen. Die Kammerjungfern aber liessen eingedenk des letzten Wunsches der Königin rund um das Grabmal Bäume pflanzen.

 

 
 

Burgruine Rötteln bei Lörrach Baden-Württemberg

 

 
 

       Der König lebte noch eine Reihe von Jahren, aber die Lust an Prunk und Festen war tiefer Schwermut gewichen. Als seine Zechkumpane gewahr wurden, dass es für sie nichts mehr zu holen gab an dem stillen Hofe, verliess einer nach dem andern den König.  Sein Schloss war ihm gleichgültig geworden und so verfiel es mit der Zeit ganz und gar. Als nach seinem Tode keiner mehr in dem Schloss Einzug halten mochte, war es völlig verlassen Sturm und Regen, Eis und Schnee ausgesetzt, so dass bald von  dem herrlichen Schloss nur noch die Grundmauern zu sehen waren.

 

 
 

Grabstätte der Gräfin Marie-Louise St. Simon - Montleart, welche sich in einem Wald, in der Nähe des Schlosses Wildegg im Kt. Aargau, befindet

 

 
   

        Die Bäume aber, die von den Jungfern der Königin gepflanzt wurden, schützten das Grabmal, streuten ihre Samen aus und bald wuchs ein dichter Wald rings umher und schützte die Königin, so dass sich der letzte Wunsch der Königin erfüllte und der Wald zu ihr gekommen war, da man die Königin nicht in den Wald zur Ruhe brachte.

 

 
 

Inschrift der Grabplatte:

Hier ruht nach dem Sturme des Lebens ein edles Weib.

Marie Louise St.Simon-Montleart

geboren zu Paris, den 12. Oktober 1763

gestorben zu Wildegg, den 21. Juni 1804

Sie kam zur Welt, ein Veilchen unter Dornen und Disteln. Kämpfte mutvoll mit herbem Unglück von früher Kindheit bis an das Grab. Starb ruhigunter Freunden, froh ahnend höhere Bestimmung, denn ihre Handlungen waren gerecht und ihre Worte wahr.

 

Durch einen Klick auf eines der Bilder des Grabes kommst Du zur Geschichte von der Marie Louise St. Simon-Montleart

 
   
 
 
 
 
 
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